Hohes Lebensalter bei Wohnungskündigung nicht zwingend eine besondere Härte
Das Problem:
Wird seitens des Vermieters von Wohnraum eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen, kann der Mieter gemäß § 574 Abs. 1 BGB der Kündigung widersprechen und kann vom Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Hausstandes eine besondere Härte bedeuten würde. Schließlich muss diese besondere Härte auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters – es erfolgt also eine Interessenabwägung – nicht zu rechtfertigen sein.
Häufig wird in diesem Zusammenhang zwischen den Mietvertragsparteien darüber gestritten, ob ein hohes Alter des Mieters und eine lange Bestandsdauer des Mietverhältnisses in diesem Sinne eine besondere Härte für den Mieter begründen.
Das Urteil:
Mit Urteil vom 03.02.2021 ( VIII ZR 68/19 ) hat der Bundesgerichtshof ( BGH ) klargestellt, dass eine pauschale Beurteilung dieser Fragen nicht zulässig ist, sondern, dass das zur Entscheidung berufene Gericht konkrete Sachverhaltsfeststellungen treffen muss.
Der vom BGH entschiedene Fall:Ein Ehepaar ( Geburtsjahrgänge 1932 und 1934 ) mietete im Jahr 1997 eine Wohnung in Berlin. Im August 2015 kündigte die Vermieterin diesen Mietern wegen Eigenbedarfs. Sie begründete die Kündigung damit, dass sie – grundsätzlich mit 1. Wohnsitz anderweitig beheimatet – während ihrer zukünftigen Berlinaufenthalte nicht mehr, wie bisher praktiziert, mit ihrem erwachsenen Sohn zusammen in dessen Mietwohnung, sondern stattdessen alleine in der ihr gehörenden Wohnung wohnen wolle. Ihre Räumungsklage hatte vor dem Amtsgericht Berlin-Mitte und in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Berlin keinen Erfolg. Das Berufungsgericht argumentierte, dass allein das hohe Alter (über 80 Jahre) der Mieter dafür spreche, dass eine nicht zu rechtfertigende Härte vorliege. Gegenüber dieser besonderen Härte müsse das Gewicht des von der Vermieterin geltend gemachten Eigenbedarfs im Vergleich als gering angesehen werden, da dieser nicht auf eine ganzjährige, sondern nur zeitweise Nutzung der Wohnung abziele. Die Vermieterin legte Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin ein. Der Bundesgerichtshof hob darauf das Urteil des Landgerichts Berlin auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung dorthin zurück. |
Die Entscheidungsgründe:
Der BGH argumentierte, dass das hohe Alter eines Mieters ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebe. Vielmehr stelle die Annahme, das hohe Lebensalter des Mieters gebiete auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, eine unzulässige Kategorisierung der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB abzuwägenden Interessen dar.
Das Landgericht habe nämlich außer Acht gelassen, „dass sich das hohe Alter eines Menschen je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung unterschiedlich auswirke. Zwar könne ein hohes Lebensalter in Verbindung mit weiteren Umständen eine Härte begründen, wenn zu dem hohen Alter und einer Verwurzelung aufgrund langer Mietdauer Erkrankungen hinzukämen, „aufgrund derer im Falle seines Herauslösens aus der Wohnungsumgebung eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Mieters zu erwarten sei“ . Das Landgericht habe die insoweit erforderlichen Feststellungen jedoch nicht getroffen.
Eine langjährige Mietdauer lasse für sich genommen auch noch nicht auf eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen. Vielmehr hänge deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters (Pflege sozialer Kontakte in der Nachbarschaft, Einkäufe, Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen etc.) ab.
Schließlich habe das Landgericht auch bei der vorzunehmenden Abwägung der Interessen von Vermieterin und Mietern einen unzutreffenden Maßstab angelegt. Die Abwägung dieser gegenläufigen Interessen habe sich „stets an den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls auszurichten“ . Dabei sei es angesichts der „Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse“ nicht zulässig, bestimmten Belangen des Vermieters oder des Mieters von vornherein ein größeres Gewicht beizumessen als den Belangen der Gegenseite.